

Bauwirtschaft erwartet 2023 Auftragsrückgänge
Blitzumfrage der Bauinnung Vorarlberg - Auswirkungen der globalen Konjunkturbremse: Politik ist bei Energiepreisen und der Wohnbauförderung gefordert.
Nach einem Jahrzehnt des stetigen Wachstums stellt sich bei der Vorarlberger Bauwirtschaft eine Verlangsamung der Konjunktur ein. Drei Jahre Pandemie, der Ukrainekrieg und damit einhergehend hohe Energiepreise, Ressourcenknappheit, Inflation und Teuerung zeigen deutliche Auswirkungen. Das ist das Ergebnis der Blitzumfrage zum Jahresende, die heute (16.12.2022) im Rahmen einer Pressekonferenz präsentiert wurde. Für das erste Halbjahr 2023 rechnen die heimischen Bauunternehmen mit einem Auftragsrückgang von mindestens 15 Prozent. „Dennoch ist die heimische Bauwirtschaft nach wie vor ein stabiler Wirtschaftsfaktor. Die Auftragsbücher sind bis zum Sommer 2023 - mit regionalen Unterschieden - noch gefüllt“, betont Innungsmeister Peter Keckeis.
Die aktuelle Abflachung, bedingt durch Krisen und Teuerungen, hat sich in einzelnen Bereichen bereits seit längerem angekündigt. In diesem Jahr bekam auch die heimische Bauwirtschaft die Auswirkungen der globalen wirtschaftlichen Situation deutlicher zu spüren. Die steigenden Energiepreise und die mit der stark steigenden Inflation verbundene Teuerungswelle spiegeln sich in der aktuellen Auftragssituation wider. Gemäß der Umfrage unter den heimischen Betrieben wird die Auftragslage Ende 2022 mit minus neun Prozent als leicht rückgängig eingeschätzt, was sich auch mit den Erhebungen der Bundesinnung für ganz Österreich deckt.
Für die erste Jahreshälfte 2023 erwarten die heimischen Bauunternehmen einen weiteren Rückgang mit einem Minus von 13 Prozent beim Auftragsvolumen. Im gewerblichen, Industrie- und öffentlichen Hochbau wird die Auftragslage für 2023 mit minus 15 Prozent eingeschätzt, im Tiefbau mit minus 18 Prozent.
Wohnbau unter Druck
Besonders drastisch ist die Situation im Bereich Wohnbau, was sich bereits 2022 deutlich abgezeichnet hat. „Ein Sommer der Verunsicherung ist in einen Herbst mit negativen Prognosen übergegangen“, beschreibt Johannes Wilhelm, Wohnbausprecher und stellvertretender Innungsmeister, die Entwicklung. Die befragten Bauunternehmer und Wohnbauträger erwarten durchwegs einen Rückgang im Wohnbau von mindestens 30 Prozent – einige rechnen sogar damit, dass der Wohnungsmarkt zum Stillstand kommt.
Für diese negative Einschätzung gibt es mehrere Gründe: Strengere nationale Regeln bei Kreditvergaben verhindern, dass Eigentum vor allem für junge Menschen leistbar ist. Käufer einer Immobilie müssen für 20 Prozent des Kaufpreises Eigenkapital nachweisen können, die monatlichen Kreditraten dürfen maximal 40 Prozent des verfügbaren Netto-Haushaltseinkommens ausmachen und die Laufzeit der Finanzierung darf 35 Jahre nicht übersteigen. Dazu kommen die hohe Inflation, steigende Zinsen und Energiepreise, die allgemeine Teuerung und zunehmende Sorgen der Menschen. Johannes Wilhelm: „Viele Menschen können sich Wohnungseigentum unter den derzeitigen Voraussetzungen einfach nicht mehr leisten. Investieren hat aber auch stets eine emotionale Komponente – in einem positiv gestimmten Umfeld fallen die Entscheidungen für Investitionen leichter. Dies trifft auch im privaten Bereich zu.“
Gab es in den Vorjahren noch Warte- bzw. Interessentenlisten für Wohnungen, so hat sich dies aufgrund der Stimmungslage ins Gegenteil gedreht. Für Bauträger bedeutet dies risikoreiche Zeiten wie noch nie zuvor und schwerwiegende Herausforderungen. Die Konsequenzen: Bauträger verhalten sich defensiver, geplante Projekte werden verschoben oder ganz abgesagt. Für Johannes Wilhelm eine fatale Entwicklung mit gesellschaftlichen Folgen: „Die Menschen im Land sind immer weniger in der Lage, Wohnungseigentum zu erwerben. Wir wollen kein Land der Mieter werden, was ohnehin auch problematisch ist, da die Mietpreise ebenfalls ständig steigen“.
Wohnbauförderung muss die Menschen erreichen
Die Wohnbauförderung gewinnt durch die gestiegenen Zinsen jetzt wieder stark an Bedeutung. Grundsätzlich sind die angekündigten Vereinfachungen positiv zu bewerten, betont Hilmar Müller, Geschäftsführer der Innung Bau in der Wirtschaftskammer Vorarlberg. Allerdings muss der Grundkostenanteil angehoben werden, damit die Wohnbauförderung in der Realität der hohen Grundstückskosten ihren Zweck erfüllt: „Wenn ein Baugrundstück für beispielsweise 1.100 Euro pro Quadratmeter erworben wird, verbunden mit einer durchschnittlichen Baunutzungszahl von 60, ergibt sich ein Grundkostenanteil von über 2.000 Euro pro Quadratmeter Netto-Wohnfläche. Somit sind vom gesamten Kaufpreis mehr als 2.000 Euro allein schon den Grundkosten geschuldet. Die neue Wohnbauförder-Richtlinie mit festgesetzten Grundkosten von höchstens 1.575 Euro geht diesbezüglich deutlich am Markt vorbei.“
Die Wohnbauförderung sollte die tatsächliche Preisentwicklung berücksichtigen und den Grundkostenanteil entsprechend erhöhen, damit die Wohnbauförderung überhaupt ausbezahlt werden kann.
Ausblick 2023: weniger Auftragsvolumen, noch höhere Preise
Die zufriedenstellende Auslastung der vergangenen beiden Jahre darf über die wahren Hintergründe nicht hinwegtäuschen, betont der stellvertretende Innungsmeister Alexander Stroppa. Dieser Konjunkturaufschwung war vor allem auf die Covid-19-Investitionsprämien zurückzuführen, die jedoch Anfang 2023 beendet sein werden. Trotz voller Auftragsbücher hat sich die Ertragslage verschlechtert, bedingt durch unverhältnismäßig stark gestiegene Energie- und Materialpreise. Diese Kostensteigerungen können vertragsbedingt meist nicht an die Auftraggeber weitergegeben werden. Für das Jahr 2023 wird in allen Bereichen ein Rückgang des Auftragsvolumens im zweistelligen Bereich erwartet. Dennoch zeigt sich die heimische Bauwirtschaft als stabile und krisenerprobte Branche und als zuverlässiger Arbeitgeber und Auftragnehmer, erklärt Alexander Stroppa. Eine konstante Zahl von 4.000 Mitarbeitern und steigenden Lehrlingszahlen (um 15 Prozent auf 230 Lehrlinge) bestätigt dies.
Politik ist gefordert: Energiepreise senken, verschärfte Wohnbau-Kreditvorgaben abschaffen
Stroppa warnt vor einem deutlichen Konjunkturrückgang ab Mitte 2023, wenn bei den massiven Energiepreissteigerungen nicht rasch gegengesteuert wird. Zahlreiche Unternehmen stehen bei Neuinvestitionen auf der Bremse. Steuerliche Belastungen wie die höhere CO2-Besteuerung sind zusätzliche Preistreiber. Bei Beton und Baurohstoffen sind bereits weitere Preissteigerungen bis zu 20 Prozent angekündigt. Dazu kommen die neuen Abschlüsse für den Baukollektivlohn im Frühjahr 2023, die sich ebenfalls an der Inflation orientieren werden. „Die Preisspirale dreht sich weiter, Sorge bereitet die Geschwindigkeit“, warnt Stroppa und führt aus: „Die Baupreise haben sich aufgrund globaler Einflüsse in den vergangenen drei Jahren um 30 Prozent erhöht. Das bedeutet, dass der Kunde für ein Einfamilienhaus um ein Drittel mehr bezahlen muss als vor drei Jahren.“
Stroppa fordert die Politik daher dringend zum Handeln auf: „Die im August 2022 in Kraft getretenen verschärften Vergabekriterien für Immobilienkredite müssen sofort zurückgenommen werden. Und es ist allerhöchste Zeit, dass die Bundesregierung endlich wirksame Maßnahmen gegen die Energiepreis-Steigerungen unternimmt.“